Vorwort |
Über Europa wird in Europa häufig in Bildern und Metaphern gesprochen. Dieses Sprechen verbindet Gesellschaften und Kulturen im östlichen und im westlichen Europa: Vom Zug nach Europa, in dem man womöglich nur in der zweiten Klasse sitzt, bis zum "Fenster nach Europa", das je nach Land und historischer Phase unterschiedlich weit geöffnet erscheint, zeigt sich eine Fülle an Bildern und Metaphern.
Die Metaphern sind es, die ein gemeinsames Sprechen über Europa ermöglichen. Sie beinhalten aber auch ein erstaunlich kreatives Potenzial. Dieses mag zum einen Europa neue Entwicklungsperspektiven eröffnen, zum anderen lädt das kreative Potenzial der Metaphern zum Spiel ein. Die Metaphern selbst schlagen Brücken zwischen den unterschiedlichsten Sprachen, Kulturen und Gesellschaften in Europa: Sie integrieren, sind aber durch ihre Grenzen überschreitende Wiederkehr und Ähnlichkeit selbst Ausdruck dafür, dass man schon heute in gleichen Bildern über Europa nachdenkt und spricht. Ihr integrativer Wert kann deshalb kaum überschätzt werden.
Dies verdeutlichen die hier versammelten Beiträge, die ausschließlich die unmittelbare Gegenwart des 21.Jahrhunderts behandeln. Der Band nimmt die Leser auf eine Metaphernreise mit, die von Tschechien und der Slowakei über Polen, Mitteleuropa, Ungarn, Rumänien, Serbien bis in die Ukraine und nach Russland führt, von den heutigen EU-Ländern in die künftigen, zumindest aber in jene Länder, die sich im Falle der Ukraine zweifelsfrei in Europa verankert sehen bzw. Europa mit Distanz gegenüber stehen. Die Autoren und Autorinnen der Beiträge haben zentrale und aktuelle Diskussionen aus den genannten Ländern aufgegriffen, so dass der Band einen aktuellen, bunten Bilderbogen mittel-, ost- und südosteuropäischer Europametaphorik aufblättert.
Die aus sechs verschiedenen Ländern stammenden Autorinnen und Autoren, mittlerweile überwiegend Doktoranden und Habilitanden, kommen zum Teil aus den Ländern, zu denen sie schreiben (so im Falle Rumäniens, Serbiens und der Ukraine), haben aber in den meisten Fällen ihre Ausbildung im westlichen Europa, vor allem an der Universität Regensburg abgeschlossen. Sie haben sich im Rahmen des forost-Projekts "Europametaphorik" (forost II 2003-2005) dankenswerter Weise darauf eingelassen, Europabilder und Europametaphern in den ihnen vertrauten Gesellschaften und Kulturen zu analysieren. Dadurch kann erstmals ein Kaleidoskop der Europabilder und Europametaphern in Mittel-, Ost- und Südosteuropa veröffentlicht werden. Dies stellt eine wichtige, ja unverzichtbare Ergänzung zu einer Fülle von Europaliteratur dar, die im westlichen Europa erscheint und die in aller Regel die mit diesem Band gebotenen Sichtweisen leider nicht kennt, zumindest aber nicht berücksichtigt. Mag dies deshalb ein erster Schritt auf dem Weg nach jenem Europa sein, in dem östliches und westliches Europa in einen gleichberechtigten Dialog eintreten und sei es über die Bilder und Metaphern, die wir schon heute miteinander teilen, wenn wir in Ost und West von Europa sprechen und über Europa nachdenken.
(Walter Koschmal)
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Inhalt |
Vorbemerkung (5)
Kenneth Hanshew: Europa: banal, fatal oder einfach egal (7)
Walter Koschmal: Polen zwischen Mythen und Metaphern (19)
Evelyn Meer: Zum (Mittel)Europabild Andrzej Stasiuks (27)
Marian Friedl: Vom Traum zur Wirklichkeit (37)
Isidora Gordić: Europe in Pavić’s Writing box (45)
Milica Seljački: Europe as simulacrum. Vojislav Despotov, Europe Number Two (55)
Ciprian Cirniala: Europa. Der virtuelle Körper und das geographische Problem (63)
Roman Dubasevych: Tastend nach Europa? (71)
Franziska Havemann: Europa als Raum (81)
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