Die neue russische Strafprozessordnung - Durchbruch zum fairen Strafverfahren?
Projekt I.4. "Justizreformen in Osteuropa als Teil der Systemtransformation"
Autor Prof. Dr. Friedrich-Christian Schroeder
forost-Arbeitspapier 9 
Inhalt

I. Einführung .....................................................7
II. Überblick über die neue Strafprozessordnung... 8
III. Allgemeines ............................................... 10
IV. Grundzüge des Ablaufs des Verfahrens......... 12
V. Recht auf Verteidigung..................................15
VI. Das kontradiktorische Prinzip ..................... 16
VII. Zwangs- und Ermittlungsmaßnahmen.......... 19
VIII. Das Unterwerfungsverfahren........................ 21
IX. Die Rechtsmittel ......................................... 21
X. Fazit .......................................................... 22

Fazit Die neue russische StPO enthält eine Reihe deutlicher Verbesserungen der Stellung des Beschuldigten. Das Erfordernis der Anordnung der Untersuchungshaft durch den Richter anstelle wie bisher durch den Staatsanwalt, die allerdings wie dargelegt erst nach fünf Tagen zu erfolgen braucht, scheint - angesichts der notorischen Abhängigkeit der russischen Gerichte von den Vorgaben der Staatsanwaltschaftüberraschend - jedenfalls in Moskau bereits zu einer deutlichen Reduktion der Untersuchungshaft geführt zu haben. 

    Misstrauen weckt vor allem, dass die russische StPO schon bisher zahlreiche Bestimmungen zum Schutz des Beschuldigten enthielt, die in der Realität jedoch krass missachtet wurden. 1996-1997 erfolgten 15.000 Beschwerden wegen rechtswidriger Ermittlungshandlungen; 1.173 Strafverfahren wurden eingeleitet und 503 Beamte verurteilt68. Andererseits drängt das radikale Verbot der Verwertung „ungesetzlich"; erlangter Beweismittel zu einer Einschränkung. Das gleiche gilt für das Verbot der Verwertung verlesener Zeugenaussagen ohne Zustimmung der Beteiligten. 

    Wesentliche Änderungen hat die Rolle des Gerichts bei der Feststellung des Sachverhalts erfahren. In der Auslegung der diesbezüglichen Vorschriften besteht im russischen Schrifttum eine erhebliche Unsicherheit. Ob diese Vorschriften praktikabel sind, kann erst die Zukunft zeigen. Unverkennbar ist ein deutlicher Einfluß des amerikanischen Strafprozessrechts. Dies gilt neben der Beschneidung der aktiven Rolle des Gerichts insbesondere für das Verbot jeglicher rechtswidrig erlangter Beweismittel, für das Unterwerfungsverfahren und für einige sonstige Regelungen. 

   Eine beträchtliche Annäherung an das amerikanische Strafverfahren schafft auch das Geschworenengericht. Hierbei sind jedoch zwei Einschränkungen zu berücksichtigen. Zum ersten war das Geschworenengericht bereits 1864 eingerichtet worden, so dass die gegenwärtige Einführung nur eine Rückkehr zu diesem Rechtszustand bedeutet. Zum zweiten ist die Einrichtung des Geschworenengerichts zunächst aufgeschoben und dürfte sich auch in absehbarer Zeit auf keinen Fall in allen Regionen Russlands realisieren lassen. Es hat nach alledem den Anschein, dass die CEELI70 doch einen erheblichen Einfluss auf die neue Strafprozessordnung ausgeübt hat. Was die Zurückhaltung des Gerichts gegenüber der Beweisführung der Parteien anbetrifft, so wird allerdings im russischen Schrifttum darauf hingewiesen, dass hier offensichtlich ein idealisiertes Bild von dem anglo-amerikanischen Strafprozess zugrunde liegt71. Immerhin hat die neue russische Strafprozessordnung bereits zu zahlreichen Schulungs- und Fortbildungsangeboten von Seiten US-amerikanischer Institutionen geführt. Nach Petruchin, einem der führenden russischen Strafprozessualisten, sind allerdings einige Elemente des Inquisitionsprozesses erhalten und stellt die neue Strafprozessordnung keinen radikalen Bruch mit den traditionellen Elementen des Strafprozesses in Russland dar.

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